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Unterwasseroper mit grünem Tiefgang. Foto: www.unterwasseroper.de
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Meditative Schwermut mit Fernschaltung zur Antarktis: Uraufführung der Unterwasseroper „AquAria–PALAOA“ in Berlin

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In Berlin boomt derzeit Kunst an alternativen Spielstätten. Parallel zu Haydns „Schöpfung“ als szenischem Mitmachevent im Dom wurde die Uraufführung von Susanne Stelzenbachs Unterwasseroper „AquAria–PALAOA“ im Neuköllner Jugendstil-Schwimmbad erarbeitet. Die paraklerikale Optik und Akustik dieser Aufführungsstätte provoziert geradezu eine theatrale Nutzung.

Die steinernen Robben an der Apsis der großen Schwimmhalle waren vermutlich auch der Auslöser für eine Opernhandlung mit zwei Chören alter und junger Robben, einem Schwertwal, einer alten und einer jungen Frau. Zusätzlichen Tiefgang erhält das künstlerisch ambitionierte Projekt mit Unterwasser-Gesang durch die Verlinkung zur antarktischen Neumayer-Station, die auch eine PALAOA-Horchstation zur Erforschung submariner Klänge betreibt. Vor jeder Aufführung der Oper erfolgt eine Direktschaltung in die Antarktis: ein Mitarbeiter des Alfred-Wegener-Instituts für Meeres- und Polarforschung, das dieses Opernprojekt gesponsert hat, klärt das Publikum darüber auf, dass es unter Wasser keineswegs still ist, sondern dass die Fische durch Laute miteinander kommunizieren. Untersucht wird dort insbesondere der Einfluss anthropogenen Schalls auf die Lebenswelt des Meeres. Live in Berlin ergänzt dann der Biophysiker Dr. Lars Kindermann, von dem auch zwei Statements als Texte in das Opernlibretto eingeflossen sind, dass jede Fischart ihre eigenen Gesänge hat. Die Weddellrobbe mit ihren über 50 verschiedenen Geräuschen hat es Kindermann besonders angetan.

Literarisch bemüht ist das Libretto („Wie ein Schmetterling – meine kalte Seele“) von Monika Rinck. Es passt auf die Vorder- und Rückseite eines DIN A 4-Blatts, das zum Mitlesen ausgereicht wird, denn in der Überakustik der Schwimmhalle sind Texte kaum zu verstehen. In der märchenhaften Handlung suchen eine alte und eine junge Frau, umgeben von zwei Chören von Robben, nach dem Wasser des Lebens; sie begegnen einem sprechenden Schwertwal mit Namen Schwermut (der Schauspieler Anders Kamp im schwarzen Anzug), der mit seinen „Här-Lauten“ („Här. Här. Här. Ihre werdet Schwermut trinken... Die Welt vergeht. Här. Här“) deutlich den Namen der Initiatorin dieses Projekts, der Mezzosopranistin Claudia Herr, verkünstelt.

Besser als die dünne Handlung selbst, entsteht in der Regie von Holger Müller-Brandes eine atmosphärische Verdichtung von Wissenschaft und Kunst. Wirkungsvoll bereits der Beginn, wenn die sechs Sänger der jungen Robben – mit schwarzen Hosen und weißen Hemden über den Taucheranzügen (Kostüme: Arianne Vitale Cardoso) – orangefarbene Abfallkörbe im Wassere versenken und dabei kontinuierlich tiefer sinken, so dass nur noch ihre Köpfe über der Wasseroberfläche zu sehen sind, während die optische Täuschung ihre Körper zur Zwergengröße schrumpft. Die vierzehn alten Robben taufen sich selbst und schöpfen Wasser in Plastikbeuteln. Wenn man weiß, dass die Unmengen von unverrottbarem Plastik im Meer ein echtes Problem für die Natur darstellen, erhält die Handlungsführung spätestens mit diesem Bildeinfall „grünen“ Tiefgang. Schließlich hat die Kultur- und Medienpolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Alice Ströver, die „Schutzfrauschaft“ dieser Opernproduktion übernommen. Aber auch die weißen Eisberge, die von den jungen Robben langsam kreisend bewegt werden, sind in der Neuköllner Aufführung aus Plastik.

Ins Wasser gehen alle Darsteller, auch die gar nicht so alte „alte Frau“ (die Mezzosopranistin Regina Jacobi). Aber tauchend – und damit den Begriff der „Unterwasseroper“ erfüllend – singt nur die Ideengeberin Claudia Herr, mit Stöckelschuhen und Abendkleid. Darunter versteckt trägt der jugendlich dramatische Mezzo Tauchanzug und Sauerstoffflasche und ersetzt dann ariose Schwelltöne über Wasser gegen eine spezielle Zungentechnik im Mundstück des Sauerstoffschlauchs: ein ins Becken herabgelassenes Mikrofon überträgt diesen Unterwassergesang.

Susanne Stelzenbach, eine auch für Klanginstallationen prämierte Komponistin, schafft in ihrer Partitur eine geschickte Liaison von Resonanz und Paraphrase als meditativ reflektierende Musiksprache. Die Zuspielung der submarinen Aufnahme eines bislang nicht deutbaren Lautes, tief unter dem Schelfeis, steigert sich bis zu ohrenbetäubendem Lärm, dem Klänge von Gong, Tuba, Trompete und Violoncello gegenüberstehen, gemischt mit einer frei schwebenden Tonalität der Chöre und Hydrophonaufnahmen „singender“ Weddellrobben.Das solistische Instrumentalensemble, dessen Schlagzeuger auch wiederholt Trompete zu blasen hat, aber – entgegen der Ankündigung – mit seinem Equipment nicht auf dem Grunde des Beckens, entbehrt eines musikalischen Leiters.

Lauthals, denn auch hier kommt die Überakustik der ungewöhnlichen Musiktheaterstätte zum Tragen, schallte die Begeisterung der rund 300 Premierenbesucher am Beckenrand und auf der Empore des Stadtbades Neukölln.

Weitere Aufführungen: 7., 14., 21. Mai, 15., 16. Juni, 10., 17. September 2011

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